Recoverygeschichte von Claudia Richter

2017 schrieb ich einen Beitrag für das Glückwunschheft für Dorothea Buck; da wurde sie hundert. Das Thema lautete: Psychose als Selbstfindung. Der Text eignet sich auch sehr gut für eine Recovery-Geschichte, weswegen ich ihn hier wiedergebe und ergänze.

Dorothea wird 100 und hat uns vorgelebt, wie man Psychosen begegnen kann. In ihrem Fall gänzlich ohne Medikation. In meinem, erkrankt 1996, nicht wegzudenken. 

Hochpsychotisch, voller sprühender Ideen, extrem manisch überzeugt, ich sei der Weltenretter, der Erlöser, muss nur noch den Kampf gegen den Anführer der finsteren Mächte gewinnen, damit die Weltrevolution endlich alles Eitle, Korrupte, Machtbesessene, den Planeten Zerstörerische, Ausbeuterische – hinwegfegt! 

Den Beginn der Weltrevolution mag ich noch ersehnt und gespürt haben; alles weitere verschwimmt in einem lethargischen,  passiven Grau – Haloperidol & Co. In der Klinik verabreicht. Gefühlsmäßig leer, ausgelöscht; die Nebenwirkungen lassen einen beinahe zum Zombie werden. Gut ist nur, dass der aufgewühlte Kopf anfängt, Ruhe zu empfinden, verantwortungslos zu werden. Aber nach der empfundenen Leere werde ich aus der Klinik entlassen und soll mich wieder einfinden in die Gesellschaft, gegen die ich im Wahn doch mehr als Vorbehalte empfunden habe. Das Gehirn ist überfordert und klinkt sich aus: Depression! Ein weiterer behandlungsbedürftiger Zustand; nach den bunten Farben der Manie noch viel schwerer zu ertragen. Suizidgedanken. 

Zum Glück nicht vollzogen, denn die katastrophal düstere Zeit, einhergehend mit dem Verlust jeglicher Lebensfreude, jeglichem Empfinden, Sprachverlust, potenzierte Hoffnungslosigkeit und gefühlte Minderwertigkeit…. sie geht vorüber. Wie und warum scheint egal, denn das Hirn hat sich längst wieder emporgeschwungen in das trügerische Glück der Manie. Dazwischen gelingt manchmal ein ganz „normales“ Leben, mit einem Beruf, mit einem Partner. Aber es dauert nicht lange und schon ist wieder alles zerstört. Mein Hirn führt ein nicht kontrollierbares Eigenleben. Medikation allein reicht nicht aus. Im Alltag benötige ich Hilfe, die ich endlich annehme. Ich entdecke Psychotherapie und Selbsthilfe. Und Soziotherapie. Ich lerne. Wir lernen gemeinsam (Psychose Seminare) und ich komme voran. Ich finde ein Ziel: Zufrieden und selbstbestimmt leben! Ich schreibe meine Psychoseinhalte auf. Im Detail finde ich sie nicht so aussagekräftig, denn sie sind jeweils Situations- und Lebensumstände bedingt. Aber sie lehren mich. Denn sie zeigen persönliche Unzulänglichkeiten. Und wie arg sie mich betroffen und gequält haben. Auch wenn sehr schwere Kost: ich muss einsehen, wo ich stehe, was alles bedeutet, wer ich bin. Letztendlich. 

Es dauert seine Zeit; es dauert Jahre. Aber es hat sich gelohnt! Meinem Hirn reichen wieder die Nachtträume, um sich abzureagieren. Unkontrolliert bricht keine weitere Wahrnehmungswelt mehr in das Bewusstsein.

Ich bin dankbar und glücklich. Und ich möchte meine Erfahrungen nicht missen

Soweit mein damaliger Beitrag. Von Dorothea Buck hatte ich zum ersten Mal im Jahr 2001 gehört, als ich nach 4 schweren Psychosen mit entsprechend langen Klinikaufenthalten und jeweiligen Jobverlusten innerhalb von vier Jahren endlich entschied: so kann es nicht weitergehen. Medikamente allein genügen nicht.

Wie oben geschrieben halfen mir Verhaltenstherapien, die aktive Teilnahme am Heidelberger Psychose Seminar sowie ehrenamtsmäßiges Engagement in der Selbsthilfe. Und ein großer Freundschaftskreis.

2017 hätte ich für viel Geld gewettet, mir passiert die Krankheit nicht mehr. Kenne ich doch alle Frühwarnzeichen und hatte jahrelang Ruhe. Aber so einfach kam ich nicht davon: ein Jahr später hat mich die Krankheit heimtückisch und schleichend dann doch wieder erwischt. Fehlte 19 Wochen auf der Arbeit, aber mir wurde gottseidank nicht gekündigt, denn der tägliche Gang ins Büro ist ein sehr wichtiges Halteseil.

2020 zu Beginn des Lockdowns meldete sich die Krankheit erneut, aber diesmal nur abgeschwächt. Aber den ganzen Sommer über musste ich gegen Antriebsarmut kämpfen. 2 Wochen Klinikaufenthalt in der Heidelberger Unipsychiatrie waren sehr schön.

Und jetzt im Frühjahr 2021 bin ich (erneut) hypomanisch – und genieße es, muss aber sehr aufpassen und nehme zusätzliches Medikament. Habe so gar keine Lust auf die Zeit danach, wenn mein Hirn wieder runterfährt und ich mit Antrieb kämpfen muss.

Aber ich hadere nicht; das Leben ist schön!

 

13.03.2021 Claudia Richter