Recoveryhaltung


So oder so? – Recoveryhaltung von Psychiatrie-Fachpersonen 

Achtung: Etwas provozierend formuliert - als Diskussionsgrundlage.


Neben allen Modellen, Konzepten und Methoden ist für mich das Wichtigste, mit welcher Haltung Profis den Patienten und den Klienten begegnen:

  1. Machen sie Mut oder demoralisieren sie? 
  2. Glauben sie an die Genesung oder sprechen sie von austherapiert und chronisch? 
  3. Spenden sie Trost und Hoffnung, wenn das Gegenüber keinen Sinn und keinen Ausweg mehr sieht oder schweigen sie dann hilflos?
  4. Haben sie selbst einen Sinn für sich gefunden, um auch anderen bei der Sinnsuche behilflich zu sein oder machen sie ihre Arbeit nach Vorschrift und Regeln ohne zu wissen weshalb? 
  5. Können sie professionelle Nähe zulassen oder verstecken sie sich vielleicht sogar gleichgültig hinter der viel beschworenen professionellen Distanz?
  6. Glauben Sie an die Fähigkeiten des zu Unterstützenden, können sie diese erkennen und fördern oder sehen sie nur, was nicht geht, was defizitär scheint?
  7. Nehmen sie die Wünsche, Ziele und Träume ernst und fördern das Erreichen derselben oder rauben sie Optimismus und Energie indem sie nur von Fantasie, Realismus und Vernunft reden.
  8. Verstehen sie sich als Berater und Assistent oder meinen sie genau zu wissen was richtig, falsch und besser ist? 
  9. Ist ihnen die Befindlichkeit wichtig oder denken sie nur an die Symptome unter denen gelitten wird?
  10. Sind sie bereit Risiken einzugehen und an den Anderen zu glauben und bei Misserfolg es wieder zu wagen oder packen sie so in Watte, dass keine Entwicklung mehr möglich ist?
  11. Können sie ungewöhnliche Gedanken und Gefühle zulassen und als Ausdruck nachvollziehbarer Grenzerfahrungen verstehen oder interpretieren sie diese nur aus psychiatrischer Sicht als krank.
  12. Fördern sie die Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit („Hilfe zur Selbsthilfe“) oder verhindern sie diese durch übermäßige gut gemeinte Unterstützung („fürsorgliche Belagerung“).
  13. Sehen sie bei schwierigen Menschen das Liebenswerte, das jeder Mensch in sich trägt, deren Suche nach Liebe und Anerkennung oder verurteilen sie das herausfordernde Verhalten, lehnen ab, grenzen aus, ja hassen sogar - selbst als bezahlte Helfer?

Das fällt mir zum Thema Haltung ein. Diese Wünsche an die Profis versammeln sich beim Recoveryansatz. Nicht dass das alles neu wäre, aber leider noch lange nicht überall umgesetzt. Mir ist klar, dass die Profis keine Übermenschen sind und genauso wenig perfekt sind, wie die von psychischer Erschütterung Betroffenen. Aber mit Recovery bekommen sie eine Leitlinie vermittelt und zwar nicht von ihren Chefs oder irgendwelchen Professoren, sondern direkt von den Betroffenen, denn der Recoveryansatz wurde von Psychiatrieerfahrenen aus den USA und Neuseeland entwickelt.

Rainer Höflacher im November 2019